Butterwegge(c)wolfgangschmidt

„Ich bin für die Butter statt für die Kanonen“ (Teil 1)

Butterwegge(c)wolfgangschmidt

Ein Interview mit Christoph Butterwegge über den Zusammenhang von Hochrüstung, Ungleichheit und Sozialabbau. Der renommierte „Armutsforscher“ und profilierte Politikwissenschaftler kommt zu zwei Vorträgen nach Konstanz und Singen, die sich mit den möglichen sozialen Folgen der sogenannten Zeitenwende befassen.

Teil 1/2

seemoz: „Von der militär- zur sozialpolitischen Zeitenwende. Wer zahlt für die Aufrüstung?“ ist der Titel der Veranstaltungen, zu denen Sie am 23. und 24. Juli als Podiumsgast eingeladen sind. Lässt sich schon absehen, wie sich die erhöhten Militärausgaben auf die sozialen Leistungen Deutschlands auswirken werden?
 
Der militärpolitischen Zeitenwende folgt die sozialpolitische. Ihr erstes Opfer war die Kindergrundsicherung. Weitere Maßnahmen, die Armen und Angehörigen der unteren Mittelschicht besonders schaden, dürften folgen. Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, hat es im Februar 2024 bei Maybrit Illner auf den Punkt gebracht: „Kanonen und Butter, es wäre schön, wenn das ginge, aber das ist Schlaraffenland, das geht nicht.“

Sozial- oder Rüstungsstaat heißt die Alternative, wenn das „Sondervermögen Bundeswehr“ ausgeschöpft ist und der Militäretat laut Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Boris Pistorius, 2028/29 auf fast das Dreifache des Jahres 2024 steigen muss, um das anvisierte Ziel von 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. Nur bin ich schon wegen meines Familiennamens für die Butter statt wie der neoliberale Ökonom für die Kanonen. Ich denke in erster Linie an die Armen und sozial Benachteiligten – Fuest hingegen an die Reichen, etwa Großaktionäre der Rüstungskonzerne.

Aufgrund des Blankoschecks, den sich CDU, CSU und SPD zugunsten des Militärs und der Geheimdienste haben ausstellen lassen, sind die vermeintlich „mageren“ Jahre für die Bundeswehr und die Rüstungsindustrie endgültig vorbei. Auf den Weg gebracht wird das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik, nicht aus dem Staatshaushalt, sondern ohne Grenzen auf Pump finanziert.

Aktuell besteht sogar die Gefahr, dass der kriselnde Finanzmarktkapitalismus auf ein Konjunkturprogramm nach Art des Rüstungskeynesianismus setzt und auch in Deutschland ein militärisch-industrieller Komplex entsteht, vor dessen politischer Macht US-Präsident Dwight D. Eisenhower am 17. Januar 1961 in seiner Abschiedsrede warnte.

Weil die neuen Verschuldungsmöglichkeiten nur für zusätzliche, über den Status quo hinausreichende Maßnahmen und nicht für konsumtive Zwecke genutzt werden dürfen, Substitutionseffekte gegenüber den normalen Staatsfinanzen also weitgehend ausgeschlossen sind, bleibt der Druck auf die öffentlichen Haushalte bestehen.

Auch müssen die Zins- und Tilgungslasten der kreditfinanzierten Hochrüstung wie auch des Sondervermögens für die Infrastruktur im Bundeshaushalt gegenfinanziert werden. Daher lautet die hinsichtlich der künftigen Gesellschaftsentwicklung zu treffende Richtungsentscheidung, trotz der partiellen Herauslösung der Militärausgaben aus dem regulären, vollständig der Schuldenbremse unterliegenden Bundeshaushalt im Kern: Rüstungs- oder Sozialstaat?

Für eine linke Sozialpolitik resultieren daraus schwierigere Rahmenbedingungen, unter denen außerparlamentarischer Druck in Form eines breiten Bündnisses von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Glaubensgemeinschaften, globalisierungskritischen Organisationen, Arbeitslosenforen, Armutskonferenzen und Flüchtlingsinitiativen gemacht werden muss, um zu verhindern, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertieft. Stattdessen ist mit noch größerem Nachdruck die Forderung zu stellen: Umverteilung des Reichtums statt Verschuldung ohne Limit!

Zur Person

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geb. 1951 in Albersloh (Krs. Münster/Westfalen), hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung“ sowie „Umverteilung des Reichtums“ veröffentlicht.

seemoz: Die neue Regierung will das Bürgergeldsystem zu einer „neuen Grundsicherung“ für Arbeitsuchende transformieren. Welche Konsequenzen wird diese Umgestaltung voraussichtlich für die Betroffenen haben?

Diese „neue Grundsicherung“ ist die alte: Man kann sie Hartz V nennen, weil sie Hartz IV zum Verwechseln ähneln wird. Von den wenigen Verbesserungen und Erleichterungen für Arbeitsuchende, die mit der Bürgergeld-Reform von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP verbunden waren, dürften die meisten wieder abgeschafft werden. Zwar wird die umbenannte Regelleistung nicht – wie von Politikern der Union im Vorwahlkampf gefordert – gekürzt, aber der Anpassungsmechanismus beseitigt, mit dem die Ampelkoalition dafür gesorgt hatte, dass inflationäre Entwicklungen schneller Berücksichtigung fanden.

Außerdem entfällt die Karenzzeit für Vermögen, ursprünglich von der Großen Koalition während der Covid-19-Pandemie im März 2020 eingeführt, um materiell bessergestellten, aber in Not geratenen Facharbeiter:innen und Selbstständigen den Hartz-IV-Zugang zu erleichtern. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Karenzzeit für die Unterkunftskosten: Wenn das Jobcenter die Miete oder die Heizkosten von Arbeitsuchenden für „unverhältnismäßig hoch“ hält, fällt die Karenzzeit dafür weg.

Ein wichtiger Kerngedanke der Bürgergeld-Reform, von dem sich CDU, CSU und SPD nunmehr verabschieden, war die Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung, nicht zuletzt begriffen als notwendige Qualifizierung von Transferleistungsbezieher:innen für den Arbeitsmarkt, auf dem Fachkräfte fehlen. Weil die schwarz-rote Koalition unter Friedrich Merz den Vermittlungsvorrang wieder einführen will, kann es kurz vor dem Abitur stehenden Kindern einer alleinerziehenden Mutter im Grundsicherungsbezug künftig erneut passieren, dass sie vom zuständigen Jobcenter aus dem Gymnasium heraus in einen McJob hineingezwungen werden.

Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen „im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft werden: Menschen im Bürgergeldbezug, denen man unterstellt, dass sie ohne sachlichen Grund wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, droht ein vollständiger Leistungsentzug. Somit geht es vorwärts in die Vergangenheit.

CDU-Politiker:innen riefen sogar nach einer Arbeitspflicht für seine Bezieher:innen, obwohl unsere Verfassung diese nur „im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstpflicht“ (Art. 12 Abs. 2 GG) erlaubt und Zwangsarbeit außer „bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung“ (Art. 12 Abs. 3) für unzulässig erklärt. Der gewerkschaftliche Widerspruch war kaum vernehmbar, nicht zuletzt, weil die neoliberale Standortlogik in Gestalt der Sozialpartnerschaftsideologie auch bei vielen Gewerkschaftsmitgliedern verfängt.

seemoz: Welche Bedeutung haben Gewerkschaften bei der Bekämpfung von Armut – Stichwort Niedriglohnsektor?

Gewerkschaften spielen eine Schlüsselrolle in den sich momentan verschärfenden Verteilungskämpfen, ohne dass sie diese offensiv wahrnehmen. Es fehlt ihnen an mobilisierender Kraft und Entschlossenheit. Nur deshalb können Politiker:innen der etablierten Parteien und die Leitmedien unseres Landes ohne erkennbare Gegenwehr suggerieren, dass es den Armen, vor allem Menschen im Bürgergeldbezug und auf der Flucht, zu gut gehe, weshalb ihnen die Leistungen gekürzt werden müssten; gleichzeitig behauptet man, dass es den Reichen immer schlechter gehe, weshalb die Unternehmer:innen stärker mit staatlichen Fördermitteln oder Steuervergünstigungen unterstützt werden müssten.

Soziale, demokratische und die Friedensfrage gehören zusammen. Nur wenn Hochrüstung und Krieg verhindert werden, kann es sozialen Fortschritt und Erfolge gegen rechte Demokratiefeinde geben. Das müssen neben den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft auch die Gewerkschaften erkennen. Dass der DGB die drohende Stationierung von neuartigen Mittelstreckenraketen in seinem Aufruf zum Antikriegstag am 1. September 2025 nicht erwähnte, hat mich als jemanden, der über 50 Jahre einer seiner Einzelgewerkschaften angehört, sehr enttäuscht.

Die erwähnten Veranstaltungen finden am 23. Juli um 19:00 Uhr im Konstanzer Astoriasaal und am 24. Juli um 19:00 Uhr im Bildungszentrum Singen statt.

Die Fragen stellte Anke Schwede, Bild: Christoph Butterwegge © Wolfgang Schmidt

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert