Conrad gröber straße, einbahnstraße, fahrrad beide richtungen, straßenumbenennung 2025 06 26 © harald borges

Der feine Humor der Stadt Konstanz

Conrad gröber straße, einbahnstraße, fahrrad beide richtungen, straßenumbenennung 2025 06 26 © harald borges

Die Straßenumbenennung war dringend nötig, aber sie stellt die betroffenen Anwohner*innen vor erhebliche Herausforderungen: Bei Dutzenden Lieferanten, Versicherungen, Kreditinstituten usw. müssen sie ihre Adresse ändern lassen. Aber die Stadt Konstanz hilft ihnen dabei … und wie!

Eine Frau von vielleicht Ende fünfzig, Anfang sechzig, sichtlich aus jenen erlauchten Kreisen, bei denen das Geld nicht nur bis zum 16., sondern bis zum 26. des Monats reicht, wirbelt ohne anzuklopfen in unsere Redaktion herein. Man merkt ihr durchaus an, dass sie keinen Tag ihres Lebens vergeudet hat – und dass sie dies auch in Zukunft nicht zu tun gedenkt, schon gar nicht hier und heute und beileibe nicht unseretwegen.

„Ihr gehört doch zu diesen Leuten, die die Welt retten wollen“, begrüßt sie uns knapp – eher mit einer harschen Feststellung als mit einer zögerlichen Frage. Sie wartet dankenswerterweise unsere Antwort, die bestenfalls in schamhaftem Erröten bestehen könnte, gar nicht erst ab.

„Dann guckt Euch das hier mal an und sagt mir, was das soll!“

Lesen bildet

Immerhin, diese Frau, die uns einfach so duzt, als spielten wir in ihrer Liga Minigolf, weiß, was sie will und was sie von uns erwartet: Nämlich, dass wir einen Brief lesen. „Wollen die mich verarschen oder haben die ein Rad ab?“ Das ist dann wohl ein Prüfauftrag, den sie uns da kurz und knapp erteilt?

Auf unseren Besprechungstisch packt sie ein amtliches Schreiben, das inzwischen einen kleinen Fleck abbekommen hat („ich habe gestern meine Kakadus aus dem Käfig gelassen, die haben dreimal die Woche Freiflug“). So genau wollten wir es ja eigentlich nicht wissen …

Straßenumbenennung gesamt angestrichen

Der Brief selbst hat beim ersten Querlesen keinesfalls irgendwelche absonderlichen Wirkungen auf unsere Psyche. Sehr sachlich ist er vielmehr gehalten, dieses Schreiben des Amtes für Liegenschaften und Geoinformation der Stadt Konstanz, wunderschön datiert mit „Juni 2025“. Aber sachlich sollte das Ding ja auch sein, denn die Stadt Konstanz teilt darin Einzelheiten zur „Umbenennung der ‚Conrad-Gröber-Straße‘ in ‚Joseph-Picard-Straße‘“ mit.

Selten erreichte ein informativerer und nützlicherer Brief die Einwohner*innen dieser schönen Stadt, denken wir. Die Verwaltung macht darin aus ihrem Herzen nämlich keine Mördergrube, sondern fordert alle Anwohner*innen, die in besagter Straße gemeldet sind, auf, ab dem 23.06.2925 innerhalb von 6 Wochen ihre Personalausweise usw. ändern zu lassen. Welche Strafen die Säumigen, Zögerlichen und Zuwiderhandelnden wohl erwarten? Das steht da leider nicht, so dass der Brief als Futter für unsere Schadenfreude leider nur wenig taugt.

Alles, was die Umbenannten sonst so wissen müssen, hat die Stadt aber hier für sie zusammengestellt: „Sie können den neuen Straßennamen nun grundsätzlich verwenden und Dritten die neue Adresse mitteilen. Auf der Homepage der Stadt Konstanz finden Sie bei Bedarf unter: Lebenslagen von A-Z – Stadt Konstanz eine Checkliste, wem ggf. die neue Adresse mitzuteilen ist und unter Straßenumbenennung – Stadt Konstanz Hinweise, wen die Stadt informiert.“

Das ist aber toll, da wird nicht ganz allgemein aufgefordert, sich irgendwo auf der Website der Stadt zu informieren, wo man ewig suchen muss, sondern es wird ganz konkret und unmissverständlich angegeben, wo die gesuchten Informationen zu finden sind.

Hut ab vor der Stadt Konstanz, wer überhaupt einen solchen trägt!

Eine Reise ins Herz der Informationsfinsternis

Dieses Vergnügen, Informationen tatsächlich einmal umgehend zu finden, wollen wir uns nicht entgehen lassen, auch wenn die Conrad-Gröber-Straße nicht gerade unsere bevorzugte Wohnlage ist.

Suchen wir also wie im Brief empfohlen nach „Lebenslagen von A-Z – Stadt Konstanz“.

Unter www.konstanz.de gibt es leider im Menü keine „Lebenslagen“, auch nicht in der Rubrik „Leben in Konstanz“, die dafür ja prädestiniert schiene:

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 01 © harald borges

Das Experiment mit https://www.konstanz.de/lebenslagen scheitert, und unter www.konstanz.de/Lebenslagen von A-Z – Stadt Konstanz, wie im Brief angegeben, drückt die Stadt nichts weiter als einige Krokodilstränen ab:

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 02 © harald borges

Also nutzen wir – wie hier empfohlen – die Suchfunktion des städtischen Internetauftritts und suchen nach „Lebenslagen von A-Z – Stadt Konstanz“, wie es im Brief steht.

Heureka! Das Ergebnis lässt endlich hoffen!

Der Weg ist das Ziel

Wir werden nach allen bisherigen Irrwegen flugs zur Adresse https://www.konstanz.de/serviceportal/lebenslagen+von+a-z weitergeleitet.

Natürlich stand genau diese Internet-Adresse, nämlich die mit dem Serviceportal, nicht in dem Brief der Stadt. Man kann sich nur ausmalen, wie sich die Autor*innen dieses Briefes beim Dichten ihres Meisterwerkes schlapp lachten, „stell‘ Dir mal vor, wie all die Trottel da draußen jetzt wie bekloppt suchen!“

Aber – und das hätte man sich inzwischen ja denken können – auf dieser Seite mit den „Lebenslagen“ steht weder ein Eintrag „Checkliste“ noch irgendetwas von „Straßenumbenennungen“:

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 03 © harald borges

Nix, nada, nüüt, alles nur geträumt.

Es ist eine alte Verwaltungsweisheit, dass nur jener Untertan, der verzweifelt im behördlichen Irrgarten herumrennt, ein guter Untertan ist. Man hört förmlich die gute Laune der Obrigkeit im Verwaltungsgebäude an der Laube knistern.

Aber nicht mit uns!

Ein letzter Versuch soll uns retten, wir glauben an den Ariadnefaden in Form einer gnädigen Verwaltung, die uns fürsorglich an die Hand nimmt und aus der Finsternis ins Licht geleitet.

Also geben wir in die Suchfunktion der Homepage der Stadt die zweite in dem Brief angeführte Option „Straßenumbenennung – Stadt Konstanz“ ein.

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 04 © harald borges

Und wo landen wir über den einzigen Treffer, der uns angeboten wird? Im Behördenwegweiser – und dort beim Absender dieses Briefes, dem Amt für Liegenschaften und Geoinformation:

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 05 © harald borges

Die Autor*innen des Briefes haben uns also einen langen, gewundenen Pfad durch das Dickicht des Behördendschungels geschlagen und uns auf ihre liebste (vielleicht auch die einzige ihnen bekannte?) Lichtung geleitet: Die Homepage ihres eigenen Amtes nämlich, dem sie vermutlich aus purer Verehrung Tag für Tag mehrere frisch eingefangene Untertanen opfern.

Welch Stunde ungetrübter Amtsfreuden! Ein Irrgarten, aus dem niemand, wirklich niemand wieder herausfinden kann. Der allerhöchste Gipfel einer bürgernahen Amtsführung wurde endlich erreicht: Ein Labyrinth von Querverweisen, die immer nur auf sich selbst verweisen! Kein Ausweis ohne vorherige Terminbeantragung, keine Terminbeantragung ohne Vorlage eines gültigen Ausweises, weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage.

Kafka lebt! Er ist sogar besser drauf als je zuvor!

Die Lösung ist – Google

Aber wer hilft weiter, wenn nichts mehr hilft? Die schier übermenschliche Intelligenz von Google etwa, die selbst vor so beharrlich verbarrikadierten Behördentüren nicht Halt macht?

Also suchen wir mit Google nach „Straßenumbenennung Konstanz“ – und werden fündig.

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 06 © harald borges

In der Rubrik „Leben in Konstanz“ unter „Stadtporträt“ findet Google schließlich die gesuchten Informationen zur Straßenumbenennung.

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Und wenn man dort ganz nach unten scrollt, stößt man endlich auch auf die sogenannte „Checkliste“, deren wahre Internet-Adresse die Stadt in ihrem Brief so beharrlich verschwiegen hat:

Homepage stadt konstanz, straßenumbenennung, 2025 06 25 08 © harald borges

Da lacht das Amt, die Bürgerin wendet sich mit Grausen

Das Amt für Liegenschaften und Geoinformation verrät mit diesem Informationsbrief einen feinsinnigen Humor sowie eine abgrundtiefe Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der im Internet Suchenden. Keiner der im städtischen Brief angegebenen Fundorte auf der Homepage der Stadt liefert die versprochenen Informationen, die Menschen werden vielmehr zielgerichtet in die Irre geleitet. Wer eine in dieser Weise informationsfreudige Stadtverwaltung hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr.

Aber wer wissen will, ob er in Zukunft nun in der Joseph-Picard-Straße oder der Josef-Picard-Straße wohnt, bekommt schnell eine befriedigende und unmissverständliche amtliche Auskunft: Die Stadt verwendet nämlich beide Formen munter nebeneinander her: „Joseph“ liest man unter „Straßenumbenennung 2025“ und „Josef“ unter „Gemeinderat benennt Straßen um“. Vermutlich werden auf dem Straßenschild in Zukunft beide Schreibweisen zu sehen sein … oder man lässt das Schild einfach komplett leer.

Das wäre doch die ultimative Amtshandlung: Allüberall hängen leere, einfach nur weiße Straßenschilder. Und wer wissen will, wo diese oder jene Straße ist, soll gefälligst im Internet nachgucken.

Oder um es mit der Lady zu sagen, die uns den Brief gebracht und unserer Recherche zunehmend entnervt beigewohnt hat: „Mit solchen Typen kann man sich ja nicht mal bei Stromausfall im Dunkeln auf einem Maskenball blicken lassen.“

Text: O. Pugliese, Bilder: Harald Borges

Ein Kommentar

  1. Janosch Tillmann

    // am:

    Sehr schön. Das klingt nicht Vergnügungsteuerpflichtig, liest sich aber so.

    Es ist aber gut, dass die Straße umbenannt wurde. Da ist man in Konstanz weiter als in Radolfzell.

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