Obermarkt, Hussenstraße, Fußgängerzone, 2020-10-13 © Harald Borges

„Nicht Autos kaufen ein, sondern Menschen“

01 stephansplatz 2022 04 21 © harald borges

Das renommierte Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das von Bund, Ländern und Gemeinden getragen wird, hat jüngst untersucht, wie sich die Reduktion des Autoverkehrs und eine damit erhöhte Attraktivität der innerstädtischen Umgebung auf die Umsätze von Handel und Gewerbe auswirkt. Das Studienergebnis ermutigt auch Konstanz zum zügigen Umbau seiner Innenstadt.

Es ist ein Dauerbrenner in den nicht enden wollenden Diskussionen um die Ausgestaltung der bundesrepublikanischen Innenstädte. Ob in Großstädten wie Berlin oder Mittelstädten wie Konstanz gilt: Wann immer eine innenstädtische Verkehrsberuhigung zugunsten von Mensch und Klima angedacht wird, erheben die örtlichen Einzelhändler*innen ihre Stimmen zu einem machtvollen Klagegesang. „Dann wird’s laut“, betitelt deshalb das Difu sein aktuelles Papier zu den Auswirkungen von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen auf den Handel.

Innenstädte veröden?

Der deutsche Einzelhandel, auch der in Konstanz, ist sich jedenfalls ganz sicher: Die Kund*innen wollen mit dem Auto bis direkt vor die Ladentür fahren, und wo sie das nicht mehr können, brächen Umsätze ein und ganze Innenstädte verödeten. Ohne den direkten Zugang mit dem Auto und immer mehr Parkhäuser drohe Handel und Gewerbe in der City seiner Meinung nach das Aus.

Diese Litanei ist seit den ersten Plänen für Fußgängerzonen anno dunnemals sattsam bekannt, und die autofreie oder zumindest -arme Innenstadt gilt in weiten Kreisen als letzter Sargnagel für den vom Online-Handel sowie den Einkaufszentren an den Stadträndern schwer gebeutelten innenstädtischen Einzelhandel. Die Sorge kommt nicht von ungefähr: Die Zahl der Ladengeschäfte hat seit 2010 um mehr als 10% abgenommen, während gleichzeitig die Verkaufsfläche pro Kopf der Bevölkerung auf 1,5 Quadratmeter anstieg.

Die Studie des Difu kommt allerdings zu der Erkenntnis, dass die Bedeutung des Autos für das Einkaufen nur im ländlichen Raum mit schlechtem ÖPNV so groß ist, wie dies die Handelsinteressenvertretungen für ganz Deutschland behaupten. „Dass der Pkw überall und für die Mehrzahl der Besucher*innen das primäre Verkehrsmittel ist, lässt sich nicht belegen.“

01 rosgartenstraße, fußgängerzone 2021 05 24 © harald borges

Schlichtweg überschätzt

Vielmehr spielen im städtischen Verkehrsmittelmix Rad- und Fußverkehr sowie der ÖPNV eine immer größere Rolle gegenüber dem Auto. Wieso aber dann das Geschrei, wann immer es um breitere Fußwege, Fahrradstraßen, Straßensperrungen und den Wegfall innerstädtischer Parkplätze und geht? Laut Difu haben Untersuchungen ergeben, dass Händlerinnen und Händler die Zahl derer, die mit dem Pkw anreisen, schlichtweg überschätzen.

Auch eine andere Fehleinschätzung korrigiert die Studie, nämlich dass Autofahrende mehr Geld in die Läden trügen. „Mehrere Studien kommen inzwischen zum Ergebnis, dass Autofahrende zwar pro Besuch mehr Geld ausgeben als diejenigen, die mit dem Rad oder zu Fuß einkaufen. Jedoch kommen sie seltener ins Geschäft. In der Summe sorgen daher Kund*innen, die mit dem Umweltverbund anreisen, über einen definierten Zeitraum für höhere Umsätze als Autofahrende.“

Höhere Umsätze

Es liegt also im ureigensten Interesse des Einzelhandels, nicht nur Kofferräume, sondern auch Rucksäcke, Stoffbeutel, Fahrradkörbe und Hackenporsches mit seinen Produkten zu füllen. Das aber – zeigt sich täglich wieder im Kampf auf unseren Straßen – geht nur, wenn Rad- und Busfahrende ebenso wie Fußgänger*innen gute Bewegungsmöglichkeiten und viel mehr Platz in den Innenstädten erhalten. Platz, der bisher noch dem Auto vorbehalten ist.

Erfahrungsgemäß wollen aber nicht einmal Autofahrende selbst dort einkaufen, wo der Stau am dichtesten ist und sich die Autos stapeln, sondern dort, wo sie zusammen mit anderen Menschen flanieren oder sich vielleicht auch mal hinhocken können. Oder gehen Sie etwa für einen gemütlichen Einkaufsbummel an die Laube?

Atmosphäre und Begegnung

Für den städtischen Raum heißt dies laut Difu: „Dort, wo sich Menschen gern aufhalten, wo sie sich wohlfühlen, auch ohne konsumieren zu müssen, nutzt dies am Ende auch dem Einzelhandel.“ Der dänische Architekt Jan Gehl hat das weltweit erfolgreich vorgemacht, indem er Straßen und Plätze als Orte gestaltete, „an denen man sich begegnen kann, wo es Schatten und Sitzgelegenheiten gibt, wo Atmosphäre, Erlebnis, Begegnung und Kommunikation im Mittelpunkt stehen“. Das funktioniert natürlich nur, wenn der (Auto-) Verkehr in diesen Gebieten reduziert oder verlangsamt wird, um die Verkehrssicherheit und damit die Lebens- und Aufenthaltsqualität zu steigern.

01 parkhaus marktstätte, dammgasse 2023 06 08 © harald borges

In einem Kapitel „Was Kommunen tun können“ fassen die Autor*innen Erfahrungen aus mehreren Ländern zusammen: „In innerstädtischen Bereichen gilt es, den Umweltverbund zu stärken, um Platz für vielfältige Nutzungen zu schaffen, Emissionen, Staus und Lärm zu reduzieren und die Verkehrssicherheit vor allem für verletzlichere Bevölkerungsgruppen zu erhöhen. Maßnahmen wie Parkraumbewirtschaftung, die Förderung von Fuß- und Radverkehr sowie günstige Jahrestickets für den öffentlichen Nahverkehr (z.B. ein 365-Euro-Ticket) tragen dazu bei, die Erreichbarkeit ohne eigenes Auto zu ermöglichen.“

Der Platzhirsch muss weichen

Was kann Konstanz daraus lernen?

Es gilt auf der einen Seite, den Autos in der Stadt viel Platz wegzunehmen, um Raum für (einkaufende) Menschen zu schaffen. Auf der anderen Seite muss der öffentliche Nahverkehr nicht nur in Konstanz selbst, sondern im gesamten Einzugsgebiet der Stadt einschließlich der angrenzenden Schweiz massiv verbessert und auch preislich attraktiver werden.

Beides läge laut Difu nicht nur im Interesse der Anwohner*innen, sondern auch im Interesse des Einzelhandels. Die langjährige Verkehrsbeauftragte von New York, Janette Sadik-Khan, formulierte es so: „Cars don’t shop, people do“ – nicht Autos kaufen ein, sondern Menschen.

Besser lässt sich das kaum sagen …

Text & Bilder: Harald Borges

Quellen

– Uta Bauer, Michaela Christ, Levke Sönksen, Louis Gabriel Pfitzinger: Verkehrsberuhigung und Einzelhandel: Dann wird’s laut. Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Policy Papers 5, Berlin, März 2025. Sie können das Papier hier kostenlos herunterladen.
– Ulrich Brinkmann, Achtung vor dem Blumenkübel! Die Fußgängerzonen als Element des Städtebaus: Ansichtspostkarten in Ost- und Westdeutschland 1949 bis 1989. Berlin 2020, ISBN 978-3-86922-717-7.
– Bundesministerium für Verkehr, Mobilität in Deutschland

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