Washington 2014 © Harald Borges

„How fascism works“

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Handelt es sich bei der aktuellen US-amerikanischen Regierung um ein faschistisches Regime? Dieser Frage geht Peter Conzelmann anhand aktueller Debattenbeiträge nach.

Der deutsche Sozialphilosoph Jürgen Habermas diagnostizierte in seinem großen Essay in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 21. März: Vor dem Hintergrund einer Aushöhlung der US-amerikanischen Verfassung hin zu einer „digital gesteuerten Technokratie“ entstehe ein „neuer autoritärer Herrschaftstyp“, der jedoch mit dem „historisch bekannten Faschismus (…) keine Ähnlichkeit“ habe. So fehlen „klassische“ Elemente des Faschismus wie die Einschüchterung, gar der offene Terror durch paramilitärische Verbände oder nächtliche Fackelzüge.

Ganz anderer Meinung hingegen ist die US-amerikanische Politologin Marci Shore. Mit Blick auf die enormen Beschneidungen, die die Wissenschaft in den USA unter der Trump-Regierung erfährt, spricht sie offen von einem „amerikanischen Abstieg in den Faschismus“. Zwar begründete ihr Ehemann Timothy Snyder den Wechsel an die kanadische Universität von Toronto mit schon länger bestehenden Kontakten und dem dortigen guten akademischen Umfeld, doch unterstrich Marci Shore ihre Befürchtungen im Hinblick auf einen möglichen Bürgerkrieg, in den die USA steuere, und die daraus entstehende Gefahrenlage.

Ihr Kollege Jason Stanley wurde noch deutlicher. Grund für den Wechsel des renommierten Yale-Professors, der sich intensiv mit dem Thema Faschismus beschäftigt (2018 erschien sein Buch „How Fascism Works: The Politics of Us and Them“), an die gleiche kanadische Universität ist das aktuelle politische Klima in den USA. Die Zeichen, dass die USA Gefahr laufen, zu einer „faschistischen Diktatur“ zu werden, seien deutlich zu erkennen. Stanley erklärte gegenüber der Website „Daily Nous“, er habe sich entschieden, „meine Kinder in einem Land großzuziehen, das nicht in Richtung einer faschistischen Diktatur tendiert“.

Was sagt es aus, fragte sich der britische „Guardian“ in seiner Ausgabe vom 26. März, dass ein Faschismusforscher gerade jetzt die USA verlässt? Das Blatt zitiert Jason Stanley: „Das liegt zum Teil daran, dass es letztlich so ist, als hätte man Deutschland 1932, 1933 oder 1934 verlassen. Es gibt da eine Parallele: Meine Großmutter verließ Berlin 1939 mit meinem Vater. Es ist also eine Familientradition.“

Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore berief sich wiederum auf Jürgen Habermas bzw. dessen Mentor Theodor W. Adorno anlässlich einer Rede während der San Francisco Climate Week im vergangenen April, um auf die Gefahren der Verfälschung von Wahrheit durch politische Macht hinzuweisen. Der erste Schritt Deutschlands in den Abgrund des Nationalsozialismus sei die Umwandlung aller Wahrheitsfragen in Machtfragen gewesen. Gore betonte, dass die Trump-Regierung versuche, ihre eigene bevorzugte Version der Realität zu schaffen, was er als Angriff auf die Unterscheidung zwischen wahr und falsch interpretierte. Gore stellte klar, dass er sich der Einzigartigkeit des Dritten Reichs bewusst sei. Dennoch sehe er wichtige Lehren aus der Geschichte dieses aufkommenden Bösen, insbesondere im Hinblick auf die Manipulation von Wahrheit und Realität durch autoritäre Regime.

Die aktuelle Meldung, dass der deutsche Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, zeitigt nun einen weiteren Beleg für die faschistische Tendenz der Trump-Regierung. Das ist den Äußerungen zu diesem Vorgang des US-Vizepräsidenten J. D. Vance, des Regierungsberaters Elon Musk und des US-Außenministers Marco Rubio zu entnehmen, die so schnell wie die Reaktionen eines Pawlowschen Hundes den Atlantik überquerten.

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Auf dem von Elon Musk beherrschten Portal X teilte Rubio mit: „Deutschland hat seinem Geheimdienst gerade neue Befugnisse zur Überwachung der Opposition erteilt. Das ist keine Demokratie – es ist verkappte Tyrannei. Was wirklich extremistisch ist, ist nicht die populäre AfD – die bei der jüngsten Wahl den zweiten Platz belegte –, sondern die tödliche Einwanderungspolitik des Establishments mit offenen Grenzen.“

Auch Musk selbst meldete sich auf seinem Kanal zu Wort mit der Feststellung, ein „Verbot der AfD, Deutschlands beliebtester Partei, wäre ein extremer Angriff auf die Demokratie“. Der enge Berater Trumps und dessen Exekutor bei der Zerstörung erheblicher Teile der US-Verwaltung hatte schon vor der Bundestagswahl seine große Sympathie für die AfD gezeigt, insbesondere in seinem online übertragenen Gespräch mit AfD-Chefin Alice Weidel.

J. D. Vance – ebenfalls auf X – ist sich ganz sicher: Die AfD sei die „beliebteste Partei“ in Deutschland, nun versuchten „die Bürokraten, sie zu zerstören“.

Reisende in die USA wissen, dass man vor der Einreise zu Mitgliedschaften in bestimmten Organisationen, einschließlich nationalsozialistischer Gruppen befragt wird. Konkret wird gefragt, sowohl im ESTA-Antrag für visumfreies Reisen als auch im DS-160 Visumantragsformular: „Sind Sie oder waren Sie jemals Mitglied einer kommunistischen oder einer anderen totalitären Partei (einschließlich der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei – NSDAP)?“

Dieses Prozedere geht zurück auf den „U.S. Immigration and Nationality Act“ von 1952, der in leicht angepasster Form bis heute gilt, und gilt als routinemäßige Sicherheitsüberprüfung. Die USA behalten sich vor, Personen die Einreise zu verweigern, die mit totalitären, extremistischen oder gewaltverherrlichenden Gruppen in Verbindung standen.

Offenbar gelten die Maßstäbe, die die USA aufgrund der historischen Erfahrungen insbesondere mit dem deutschen Nationalsozialismus ab Mitte des 20. Jahrhunderts und im Hinblick auf die Abwehr menschenverachtender Ideologien entwickelt haben, nicht mehr. Sonst wäre es nicht möglich, dass ranghohe Vertreter der aktuellen US-Regierung die deutschen Behörden dafür mit Kritik überziehen, dass sie eine Bewertung der AfD nach exakt diesen Maßstäben vornehmen.

Eine Schlussfolgerung aus diesem Vorgang drängt sich auf, dass die US-Regierung selbst ein Teil dieses ideologischen Lagers geworden ist.

Text: Peter Conzelmann, Bilder: Archiv. Dieser Beitrag erschien zuerst in „Zeitenwende“.

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