Krankentransport konstanz © stadtarchiv konstanz sammlung wolf

„800 Jahre Spitalstiftung Konstanz“: eine makellose Jubelschrift

Von Ralph-Raymond Braun
Krankentransport konstanz © stadtarchiv konstanz sammlung wolf
Seit langem unterwegs: Krankenhausbeschäftigte der Spitalstiftung beim Krankentransport, ca. 1913/14

Gassigänger und Joggerinnen drehen ihre Runden im spitälischen Lorettowald; Viertelesschlotzer genießen Spitalwein. Mancher gärtnert oder wohnt gar auf spitälischem Grund. Ob als Kind im Sozialpädiatrischen Zentrum oder als Greisin im Pflegeheim, und sowieso im Konstanzer Krankenhaus –wer hatte noch keinen Kontakt mit der Spitalstiftung? Die feierte in diesem Jahr ihren 800. Geburtstag.

Noch wehen die Flaggen der Stiftung auf der Rheinbrücke, doch das mit Ausstellungen, Führungen, Theater, Baumpflanzaktion, Feier für Mitarbeitende und einem Festakt für Honoratior:innen ausgiebig zelebrierte Jubiläumsjahr neigt sich dem Ende zu. „Jubiläen gehen schnell vorbei, aber es bleiben Publikationen“, versprach Stadtarchivar Jürgen Klöckler zur Präsentation der Festschrift „Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee. 800 Jahre Spitalstiftung“, die als 25. Band in der Schriftenreihe des Stadtarchivs erschienen ist. Wir wollen schauen, ob der von Stiftungsdirektor Andreas Voß und Pressesprecherin Sabine Schilling (Berufsbezeichnung „Wortarchitektin“) herausgegebene, 280 Seiten umfassende Sammelband über das schiere Bleiben hinaus auch von bleibendem Wert ist.

Eine Küche ohne Maultaschen

Das mit zahlreichen Fotos illustrierte Buch gibt in knapp dreißig Beiträgen einen Überblick über das Werden und die vielfältigen Tätigkeitsbereiche und Einrichtungen der Stiftung. Pflegeheime als älteste und wichtigste Aufgabe werden porträtiert, untermauert mit Interviews von Bewohner:innen und Beschäftigten. Auch die Probleme, allen voran der Mangel an qualifiziertem Personal, werden nicht ausgespart.

Stiftungsdirektor Voß betont in seinem Beitrag, „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spitalstiftung […] sind das Rückgrat unseres Erfolgs.“ Stimmt, und die Stiftung punktet mit Wohnraum für die Mitarbeitenden und Krippenplätzen für deren Nachwuchs. Sie kann sich damit und einem, wie man hört, guten Betriebsklima als Arbeitgeber gegenüber der privaten Konkurrenz und besonders den lukrativen Jobs in der Schweiz gut behaupten.

Doch das war nicht immer so. Wir erinnern uns an den Maultaschenskandal, als eine Altenpflegerin nach 17 Jahren Betriebszugehörigkeit ihren Job verlor, weil sie aus den für den Abfall bestimmten Essensresten der Heimbewohner:innen sechs Maultaschen mitgenommen hatte.

Die Affäre, geschehen unter der Ägide des seinerzeitigen Stiftungsdirektors Reiner Weichler, machte damals bundesweit Schlagzeilen. Der Festschrift, die auch über die Küche der Stiftung schwelgt und Reiner Weichler mit einem Beitrag über die Spitalkellerei zu Wort kommen lässt, erwähnt den Maultaschenskandal mit keiner Silbe (dabei verliehen ein Zeit lang regionale Gewerkschafter:innen jährlich den „Maultaschenpreis“ für besonders beschäftigtenfeindliches Unternehmerverhalten). Ein „Wir haben Fehler gemacht und daraus gelernt“ sucht man in der Jubiläumsschrift vergebens.

Geschichte ohne Krieg und Nazis

Das Wesen der Jubiläumsschrift als unkritische Jubelschrift bestätigt auch der mit 75 Seiten bei weitem umfangreichste Beitrag im Buch, nämlich eine von den früheren Stadtarchivaren Norbert Fromm und Michael Kuthe sowie dem vormals städtischen Pressesprecher Walter Rügert verfasste „Geschichte des Konstanzer Spitals“. Wen bei der Lektüre das Gefühl erschleicht, alles schon mal irgendwo gelesen zu haben, der ist auf der richtigen Spur. Es handelt sich dabei um die wenig überarbeitete Version eines bereits anno 2000 zum 775. Jubiläums erschienen Büchleins.

Ausführlich widmet sich dieses Kapitel der Zeit von der Gründungsurkunde bis in die wilhelminische Ära. Nach dem zweiten Krankenhausneubau am Luisenplatz, errichtet um 1900, wird der Text dann dürftig und referiert auch gerade noch zwei Seiten die Baugeschichte des Klinikums bis in die Gegenwart. Gern hätte man mehr erfahren zur Rolle der Spitalstiftung und des Krankenhauses in den Weltkriegen, als in Konstanz tausende verletzte Soldaten versorgt wurden. Kein Wort dazu in der Festschrift.

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Über die unter der Naziherrschaft im Städtischen Krankenhaus und in der damals noch gesonderten Frauenklinik in der Friedrichstraße vorgenommenen Zwangssterilisationen wäre ein eigener Beitrag angemessen gewesen. Auch darüber lesen wir nichts. Den Autoren Kuthe und Fromm mag man dieses Versäumnis noch irgendwie nachsehen, der Schwerpunkt ihrer Arbeit war ja nicht das 20. Jahrhundert. Jedoch hätte Archivdirektor Jürgen Klöckler, der am Schluss des Buchs noch eine „Spitalgeschichte kompakt“ anfügt, sicher etwas dazu schreiben können, wenn er oder seine Auftraggeber das denn gewollt hätten.

Angesichts der genannten Lücken verdient das Buch keine Empfehlung. Wir müssen ein anderes Weihnachtsgeschenk suchen.

Sabine Schilling, Andreas Voß (Hg.): „Die älteste Bürgerstiftung am Bodensee. 800 Jahre Spitalstiftung Konstanz“. UVK Verlag 2025. 278 Seiten. 16 Euro

Bild: Aus der Sammlung Wolf des Stadtarchivs Konstanz

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