
Nachdem der Aufstand der Bauern 1525 lange Zeit vor allem historisches Dekor auf Volksfesten war, scheint er im Gedenkjahr nun doch Teil unserer Erinnerungskultur zu werden. Dennoch hält unser Autor einige Korrekturen und Ergänzungen für angebracht.
Vor 500 Jahren, 1525, erhoben sich die armen und unfreien Bauern in Süddeutschland, bald schon am Oberrhein, im Elsass, bis Salzburg und Brixen im heutigen Südtirol. Begonnen hatte der „Uffruhr“, der Aufschrei nach „Freyheit“ und „Gerechtigkeyt“ am Rande des Hegaus und fand seinen Ausdruck in der Stube der Kramerzunft in Memmingen, wo der Kürschner Sebastian Lotzer und der Prediger Christoph Schappeler die Zwölf Artikel des Baltringer, des Allgäuer und des Seehaufens verfassten, in denen zum ersten Mal der rechtlose Stand einer rigiden Klassengesellschaft fordert, „dass wir frei sind und frei sein wollen“. Es war, wie es der süddeutsche Historiker Peter Blickle formulierte, „eine verfassungsgebende Versammlung“, die den Artikel 1 des Grundgesetzes vorwegnahm: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Einiges war 1525 so neu, dass es Auswirkungen haben sollte bis heute. Die Bauern konnten nicht lesen und schreiben, bedienten sich aber der damals noch ziemlich neuen Druckerpresse. In wenigen Wochen erschienen die Zwölf Artikel in der damals sensationellen Auflage von 25.000 Exemplaren. Die herrschende Klasse begriff, dass „Pressefreiheit“ ein höchst gefährliches Instrument für sie war. Daran hat sich bis heute, vor allem in den Ländern des Globalen Südens, wo Bauern und Arbeiter immer noch den Aufstand wagen, nichts geändert. Doch auch Erich Fürst von Waldburg-Zeil, Nachfahr des Truchsess von Waldburg, der die aufständischen Bauern vernichtete, hat dies begriffen. Er ist Haupteigentümer der Schwäbischen Zeitung, die sich selbst „Zeitung für Christliche Kultur und Politik“ nennt.
Keine Strategie
Wie über den Aufstand in den Jahrhunderten danach und zum Teil bis heute berichtet wird, verschleiert und verfälscht vieles. Schon der Begriff „Bauernkrieg“ ist irreführend. Die Bauern führten keinen Krieg. Der Seehaufen am Bodensee zählte zwar 12.000 Mann, sie verschanzten sich in einer Wagenburg, umschlossen das Heer des Truchsess von Waldburg, doch sie hatten keine Strategie. So vernichtete der Truchsess mit den Landsknechten einen Haufen nach dem anderen. Die fürstlichen Kanoniere schossen in die Wagenburg hinein, mehr als 6.000 Bauern wurden bei Frankenhausen zerfetzt. Insgesamt wurden schätzungsweise 70.000 Bauern in allen Schlachten des adligen Heeres getötet.

Es war ein Befreiungskampf von unten, dessen Köpfe Abtrünnige der katholischen Kirche waren, Prediger wie Thomas Müntzer oder Matthias Waibel. Ihr Verständnis von Christentum war eine Gemeinschaft der sozialen Gerechtigkeit. Sie waren der Beginn der Theologie und Pädagogik der Befreiung im Globalen Süden – Vorgänger von Menschen wie Ivan Illich, Augusto Boal, Paulo Freire aus Lateinamerika oder Michel Kayoya aus dem afrikanischen Burundi, der 1972 ermordet wurde.
Gesucht: Bezüge zum Heute
Nach seiner grausamen Niederschlagung kam der „Bauernkrieg“ 1525 fast 500 Jahre lang – im Gegensatz zum Bürgertum, der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse – in unserem Geschichtsbewusstsein kaum vor. Und wenn, dann nur als historisches Dekor bei traditionellen Volksfesten mit Landsknechten und Armbrustschützen. Zwar forderte 1834 Georg Büchner im „Hessischen Landboten“ „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, und wenige Jahre darauf veröffentlichte der Historiker Wilhelm Zimmermann die erste wissenschaftliche Darstellung des Aufstands. Doch an der verbreiteten Unkenntnis über seine Inhalte und Ziele änderte dies wenig. Nun, im Gedenkjahr, scheint der „Bauernkrieg“ doch Teil unserer Erinnerungskultur zu werden. Dies heißt, nach Bezügen zum Heute zu suchen.
Vieles ist gesagt worden. Ergänzungen sind angebracht. Ein Versuch.
Thomas Müntzer forderte Freiheit und Gleichheit für alle. Und er verlangte einen Aufbruch in der katholischen Kirche, die auch in Lateinamerika einen theologischen Rebellen hatte, der die Bestialitäten des spanischen Kolonialismus bekämpfte: den Dominikanerpriester Bartolomé de las Casas (1484 bis 1566). Er forderte am Beispiel der Rechtlosigkeit der Indianer eine Rechtsgemeinschaft aller Menschen. Diese Befreiungstheologie wurde von Anbeginn im Vatikan angefeindet, zuletzt durch einen Papst namens Joseph Ratzinger.
Vorspiel späterer Grausamkeiten
Wie Kirche und Adel den Aufstand der Bauern abschlachten ließen, war das Vorspiel dessen, was das „christliche“, das „zivilisierte“ Europa wenig später in seinen Kolonien praktizierte. Die Bauern wurden als besoffene, gewalttätige Dummköpfe verhöhnt. Noch heute ist auf dem Marktplatz in Mainz in einem Brunnenrelief ein aufständischer Bauer als Mistkerl porträtiert. Thomas Müntzer wurde nach grauenvollen Foltern geköpft, sein Kopf aufgespießt aufgestellt. Den Prediger der Bauern, Matthias Waibel, hängten sie am Seil, das ihm das Genick brach, an einen Baum vor der Freien Reichsstadt Leutkirch.

Vergleichbare Grausamkeiten sah man später – in der Hochzeit bis zur Endphase des europäischen Kolonialismus – zuhauf. In Kenia hängten die britischen Kolonialherren die aufständischen Mau-Mau-Rebellen um 1960 nackt an die Bäume und folterten deren Anführer in einem KZ-ähnlichen Internierungslagern zu Tode. Es gab koloniale Massenmorde der Franzosen in den 1950er- und 60er-Jahren in Algerien, der Niederländer Ende der 1940er-Jahre in Indonesien, es gab den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama ab 1904 im heutigen Namibia. Im Kongo ließ um 1900 der belgische König Leopold in seiner Privatkolonie Aufständischen die Hände abschlagen.
Romantisierung der Geschichte
Am entsetzlichsten wüteten vor 500 Jahren die 4000 Landsknechte, die der Truchsess von Waldburg nach der Schlacht bei Parma anheuerte. Sie brannten Höfe und Dörfer mitsamt den Einwohner:innen nieder, vergewaltigten die Frauen, vierteilten die Bauern. Bis heute wird die historische Wahrheit romantisiert. Als wären die Landsknechte fröhlich trommelnd und pfeifend durch die historischen Altstädte gelatscht wie beim Rutenfest in Ravensburg. Aber es waren Söldner, Söldner wie die mordenden, plündernden Truppen der Gruppe Wagner des Putin-Verbündeten Prigoschin in Westafrika.
In Waldburg und Weingarten gibt es eine „Bauernjörg-Straße“. Klingt, als handle es sich um einen Bauernführer. Doch sie ist benannt nach dem kriegslüsternen Adligen, den Martin Walser als „Waldburger Blutsau“ bezeichnete. Beim Mittelaltermarkt in Bad Schussenried im Juni dieses Jahres war ein Landsknecht- und Bauernlager mit „edlen vrouwen und ridder“ zu erleben, um Kinder „für den Bauernkrieg zu begeistern“. Historischer Kitsch.

Es ging 1525 um das Recht der Bauern auf eine eigene Kultur, um ein Leben über dem Existenzminimum. Heute lebt ein Drittel der Menschheit unterhalb des Existenzminimums, die Mehrheit davon im Globalen Süden.
Es ging 1500 um eine Kirche, deren Repräsentanten die Unterdrückung der Bauern theologisch rechtfertigten, so wie sie später den Kolonialismus rechtfertigten. Die Indigenen in Lateinamerika wurden getauft, bevor sie sich in den Minen zu Tode schuften mussten. Priester der Armen wie Oscar Romero oder Ernesto Cardenal ermächtigten mit der Botschaft Jesu die Armen, wie ein Thomas Müntzer es tat. Heute penetrieren und entpolitisieren Evangelikale aus den USA die sozialen Bewegungen in Afrika.
Gegen eine Steuer, den Zehnten, wehrten sich die Bauern im Mittelalter in Oberschwaben. 1901 ist die britische Kolonialmacht ähnlich erfinderisch in Ostafrika. Zur Finanzierung der Kolonialarmee erfindet sie die „head and hut tax“, die Kopf- und Hüttensteuer. Um die bezahlen zu können, gingen die Bauern in die Minen und auf die Teeplantagen.
Landraub vor 500 Jahren und heute
1525 schrieb der Kürschner Sebastian Lotzer aus Memmingen, Verfasser der Zwölf Artikel, über die aufständischen Bauern: „Ein Leben frei begehrend können sie nicht ungehorsam oder aufrührerisch genannt werden.“ Sie hatten, äußerlich zumindest, ihre Freiheit erkämpft, gehörten keinem anderen Menschen mehr, konnten sich frei bewegen, Wald, Weiden und Flüsse gemeinsam nutzen. Allmende nannte man solche Gemeindeflächen, und dass Adlige ab dem 15. Jahrhundert viele dieser Flächen für sich beanspruchten, war ein Grund für den Aufstand der Bauern. Der Großteil des Bodens, der ihnen geraubt worden war, sollte noch lange, mancher für immer, den Klöstern und dem Adel gehören. Nur langsam entwickelte sich der eigenständige Bauernstand in Westeuropa.
Heute gibt es weltweit 2,5 Milliarden Kleinbäuer:innen mit 570 Millionen Höfen. Sie produzieren global die meisten Nahrungsmittel, doch die Mehrheit von ihnen gehört zu den Ärmsten, weil internationale Supermarktketten wie Tesco, Sainsbury, WalMart oder Aldi die Preise diktieren und die Bäuer:innen von ihnen abhängig sind. Und 820 Millionen Menschen hungern weltweit, zwei Milliarden an verborgenem, also nicht sichtbarem Hunger, womit der Mangel an wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen bezeichnet wird.

Einige Beispiele: Millionen Kleinbäuer:innen wurden im Nordeste do Brasil ihres Landes beraubt, um dort eines der größten Anbaugebiete für Soja entstehen zu lassen. „Landgrabbing“ wird diese Praxis genannt, die im gesamten Globalen Süden von Nahrungs- und Chemiekonzernen wie Cargill, Unilever, Nestlé, Nabisco, Bayer-Monsanto, Chiquita, Tyson Fruit, PepsiCo, Nestlé oder von Investor:innen betrieben wird. Auf den riesigen Plantagen, die dort entstehen, werden die auf ihnen arbeitenden Menschen und die Böden mit Pestiziden und Herbiziden verseucht. Agrobusiness ohne kleinbäuerliche Landwirtschaft, für unsere Fleischgier, unsere Avocados und Bananen, unseren Süßkram und die Lederstiefelchen.
Bäuerliches Wissen wird kapitalisiert
Und es geht nicht nur um das Land. Saatgutkonzerne wie Bayer Sciene Crop, Bayer Monsanto und Cargill kaufen sich mit riesigen Bestechungssummen und mit politischer Erpressung der US-Regierung Landwirtschaftsministerien und die wenigen Universitätsinstitute für Agrarwissenschaften. Mit dramatischen Folgen. In indischen Bundesstaaten wie Maharashtra begingen und begehen Tausende Kleinbäuer:innen Suizid, nachdem sie sich auf die Lügen der Konzerne eingelassen hatten, gentechnisch veränderte BT-Baumwolle werde ihre Gewinne verdoppeln. Denn für den Anbau hätten sie Laborsaatgut benötigt, abgestimmt auf spezielle Kunstdünger, Pestizide, Bewässerungsanlagen. Die aber können sich Kleinbauern nicht leisten.
Und die Situation wird noch schlimmer: Diese Konzerne haben Zigtausende Saatgutsorten im Süden geraubt, wo diese über Jahrhunderte eine autonome Versorgung mit Nahrungsmitteln ermöglichten, wo die Kleinbäuer:innen das Saatgut in enormer Vielfalt untereinander tauschten, es selbst züchteten und veredelten. Es ist ein Raub, denn Wissenschaftler, die wissen, was sie tun, haben diese über Generationen frei genutzten Saatgüter entschlüsselt und patentiert. Dafür sollen die Bauern, auch in Europa, nun zahlen. Hunderte Jahre bäuerliches Wissen wird kapitalisiert.
Indiens international renommierte Aktivistin gegen Agro-Gentechnik, Vandana Shiva, nennt dies Biopiraterie. „Patente auf Lebensformen stellen ein Attentat auf den natürlichen Artenreichtum dar, den wir Menschen doch brauchen. Wenn es nach bestimmten Konzernen ginge, würde unsere Landwirtschaft bald auf fünf, sechs Sorten reduziert. Die Gentechnik verletzt auch die Prinzipien der Gerechtigkeit, denn sie führt zur Versklavung der Bauern.“
Dennoch betreibt Indiens Premierminister Narendra Modi die Öffnung der indischen Landwirtschaft für Konzerne als Teil seines von den USA unterstützten Kurses eines indischen Neoliberalismus. Dagegen regt sich auch Protest: Im Januar 2024 fuhren indische Bauern mit 120.000 Traktoren in einem „Marsch auf Delhi“ in die indische Hauptstadt.
EU-Subventionen zerstören Landwirtschaft in Afrika
Zwei Beispiele noch aus dem Krieg gegen die Bauern, der vor allem im Globalen Süden tobt: 40 Prozent des EU-Budgets fließen in Agrarsubventionen, der Agrarhaushalt ist der mit Abstand größte der EU. Mit Hilfe dieser Milliarden werden Tomatenmark aus Italien, Tiefkühlhähnchen aus Deutschland, Milchpulver aus Dänemark und so weiter verbilligt nach Afrika verschifft, um die Tomatenbauern und die Geflügelwirtschaft in Ghana oder die Milchbäuer:innen in Westafrika in den Ruin zu treiben.
Die Tomaten für das exportierte Tomatenmark werden von illegalen, aber für diesen Zweck in Italien geduldeten afrikanischen Geflüchteten geerntet. Die Milch stammt aus der mit riesigen ökologischen Schäden erzeugten EU-Überschussproduktion, auch aus Deutschland. Industrielle Agrarproduktion der EU zerstört kleinbäuerliche Landwirtschaft in Afrika, aber auch in zahlreichen anderen Ländern des Südens. Welch ein menschenverachtendes System, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen großartig findet und die deutschen Bauernpräsidenten auch.
Von all dem ist in den Ausstellungen und Feierreden zu „500 Jahre Bauernkrieg“ nicht die Rede. Bauernkrieg? Oder Sieg über die Bauern?
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Wochenzeitung kontext.
Bilder – Protest in Indien: © Jaskaran/Wikimedia commons / Tafel im Hilzinger Bauernkriegsmuseum: © Pit Wuhrer / Hinrichtung Matthias Waibel: © Christipedia.nl / Protest auf der Waldburg des Bauernjörgs: © privat / Kinderarbeit im globalen Süden: © Fatih Bilen / Wikipedia commons
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